„Miteinander besser leben“
Begleitetes Wohnen in Gastfamilien oder in der Angehörigenfamilie

Dabei nehmen sorgfältig ausgewählte Gastfamilien oder Angehörige einen Menschen mit Behinderung in ihre Lebenswelt auf, lassen ihn an ihrem Alltag teilhaben, begleiten und unterstützen ihn. Die Hilfen orientieren sich an den persönlichen Bedürfnissen, Schwierigkeiten und Fähigkeiten des Gastbewohners. Ziel ist, dem Menschen mit Behinderung ein weitestgehend normales Leben zu ermöglichen.

Die Begleitung fügt sich in den natürlichen Tagesablauf der Gastfamilie ein und kann Unterstützung bei der individuellen Basisversorgung, der Gestaltung persönlicher Beziehungen, der Freizeitgestaltung, der Tagesstrukturierung, der Kommunikation und der Bewältigung psychischer Probleme umfassen.

Die aufnehmenden Familien erhalten für ihr Engagement eine monatliche Betreuungspauschale.

Eine Geschichte aus dem Alltag

Mein Name ist Michaela, ich bin 47 Jahre alt, habe zwei Söhne, der fast 17-jährige lebt bei seinem Vater, Sebastian der jüngere ist 14 Jahre alt, und lebt bei mir.

Ich hörte die Geschichte von Sarah, einer 18-jährigen jungen Frau mit geistiger Behinderung für die eine Gastfamilie gefunden werden sollte. Das Interesse Sarah kennen zu lernen und mich einer neuen Aufgabe zu stellen war größer, als die Angst der Sache nicht gewachsen zu sein.

Und so lernten wir Sarah kennen und schätzen. Die ersten gemeinsam verbrachten Stunden waren sehr steif und von Zurückhaltung geprägt. Sarah verbrachte in den folgenden Wochen zunächst nur an den Wochenenden ein paar Stunden bei uns Zuhause. Allmählich wurden wir zutraulicher, die Treffen wurden von Mal zu Mal herzlicher und die Sorgen und Ängste, die wir hatten, rückten immer mehr in den Hintergrund. Dies machte mir Mut, die Herausforderung anzunehmen.

Für uns stand fest, dass wir versuchen wollen, Sarah ein Zuhause zu bieten, in dem sie sich wohl fühlt und so akzeptiert wird, wie sie ist. Einem Probewohnen stand nun nichts mehr entgegen. In diesem Monat konnten wir uns noch besser kennen lernen und Sarah endgültig in unser Herz schließen. Sie ist zu einem festen Familienmitglied geworden, und ihre Bedürfnisse sind uns genauso wichtig wie unsere eigenen.

Nach und nach erzählte ich in meinem Bekanntenkreis von unserer neuen familiären Veränderung und stellte mit Erstaunen fest, wie unterschiedlich Menschen in meinem Umfeld darauf reagierten. Eine Person stellte mir mit Entsetzen die Frage, ob ich mir darüber im Klaren bin, welch einen Klotz ich mir da ans Bein binden würde. Die netteste Bemerkung aber, kam voller Bewunderung von einer Arbeitskollegin, ich zitiere: „Michaela, für diese gute Tat, wirst Du mal in den Himmel kommen.” Ich denke nicht, dass ich dafür in den Himmel kommen werde, mir genügt schon die Freude die ich hier auf Erden dabei habe, einem jungen Menschen der von der Natur benachteiligt wurde, ein wenig Glück und ein Zuhause zu geben.

Nach vier Wochen „Probewohnen” endete das „Proben” und begann das „Wohnen”. Nun sind wir offiziell Gastfamilie und freuen uns auf weitere Nachahmer, mit denen man sich austauschen kann.

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Historie

Das Begleitete Wohnen in Gastfamilien – früher Familienpflege genannt – ist eine traditionelle Form der Betreuung von Menschen mit einer chronisch psychischen Erkrankung oder geistigen Behinderung. Sie vereint zwei wichtige Grundprinzipien. Das Prinzip der individuellen Hilfe und der Gemeindeintegration für Menschen mit Beeinträchtigungen auf der einen Seite sowie das Prinzip der Förderung bürgerschaftlichen Engagements und des sozialen Zusammenhalts auf der anderen Seite.

Ihren Ursprung hat sie bereits im frühen Mittelalter. Zwischenzeitlich etwas in Vergessenheit geraten, stellt sie heute jedoch im Zuge der Weiterentwicklung differenzierter Angebote einer gemeindenahen Versorgung beeinträchtigter Menschen einen wichtigen Baustein im Sinne einer individuell gestaltbaren, flexiblen und finanzierbaren „Rund-um-die-Uhr-Begleitung“ dar.

Philosophie/Ziele

Die Aufnahme in den Alltag einer wohlwollenden und stabilen Lebensgemeinschaft bietet Menschen mit Beeinträchtigungen die Möglichkeit ein „ganz normales Leben” zu führen:
… zu Hause sein, sich wohl fühlen, selbstständig sein, Geborgenheit erleben, gemeinsam einen Haushalt führen, soziale Kontakte pflegen, Freundschaften schließen, die Nachbarn kennen lernen, Feste feiern, Hausarbeiten erledigen, Garten pflegen, zusammen essen kochen oder Kuchen backen, gemeinsam spielen, fernsehen oder Musik hören, sich auseinandersetzen, auch mal streiten, Konflikte austragen, vom anderen lernen, zusammenhalten ... einfach miteinander besser leben.

Auch für die aufnehmenden Lebensgemeinschaften ist das Begleitete Wohnen in Familien eine große Bereicherung:
Neben der Übernahme einer sinnvollen, sozialengagierten und verantwortungsvollen Tätigkeit bietet sie die Möglichkeit eines Zuverdiensts von zu Hause aus.

Informationen für interessierte Gäste

Das begleitete Wohnen in Familien ist ein Angebot für erwachsene Menschen mit psychischen und/oder geistigen Beeinträchtigungen, die für längere Zeit oder auf Dauer nicht in der Lage sind, eigenständig zu leben.

Die Aufnahme in eine Familie bietet Menschen mit Behinderung die Möglichkeit ein neues Zuhause zu finden. In einem überschaubaren familiären Rahmen erhalten sie Unterstützung im Alltag, lernen von den Erfahrungen und dem Beispiel der Familie und können so ihre praktischen und sozialen Fähigkeiten erweitern sowie ihre persönliche Lebensqualität verbessern.

Wenn Sie

  • Unterstützung brauchen
  • für längere Zeit ein neues Zuhause suchen
  • sich in den normalen Alltag einer Familie integrieren möchten
  • sich weiterentwickeln wollen
  • ihre akute Krankheitsphase überwunden haben

... dann kommen Sie für eine Aufnahme in Familien in Frage.

Unsere Aufgabe

Wir suchen, finden und vermitteln individuell passende Familien für Menschen mit einer Behinderung und begleiten, beraten und unterstützen alle Beteiligten innerhalb des Gast-bzw. Angehörigenfamilienverhältnisses.

Grundlage hierfür sind regelmäßige Hausbesuche und telefonische Kontakte, in denen die jeweils aktuellen Situationen besprochen und gemeinsame Handlungsideen gefunden werden. Wir informieren zum Umgang mit dem jeweiligen Krankheitsbild und unterstützen bei der Inanspruchnahme eventuell zusätzlich notwendiger Hilfen. Wenn Krisen auftreten sind wir die ersten Ansprechpartner und finden gemeinsam mit allen Beteiligten neue Lösungen.

Durch unsere fachliche Begleitung ergänzen wir die Alltagskompetenz der Familie. Wir stehen allen Beteiligten zur Seite, übernehmen eine „coachende” Funktion und geben die Möglichkeit zur gemeinsamen Entwicklung.

Wir stehen im engen Austausch mit den behandelnden Ärzten, den gesetzlichen Betreuern, den jeweiligen Leistungsträgern und sonstigen beteiligten Einrichtungen und Personen. Auf Wunsch übernehmen wir auch die Vermittlerrolle bei Kontakten zur Herkunftsfamilie.

Wir veranstalten regelmäßige Treffen bzw. Unternehmungen für alle Familien, damit sie sich untereinander kennen lernen, sich austauschen und gemeinsam Freude haben können.

Ihr Weg zu uns

Wir sind in die regionalen Versorgungsstrukturen integriert und pflegen die Zusammenarbeit mit anderen Trägern im gemeindepsychiatrischen Verbund. Unser Leistungsangebot ist den Einrichtungen und Trägern der Eingliederungshilfe bekannt.

Der Kontakt zu uns kann zunächst über Sie selbst erfolgen, aber auch über

  • einen Angehörigen
  • eine private Bezugsperson
  • einen rechtlichen Vertreter
  • eine beratende Einrichtung des psychiatrischen Versorgungssystems (z.B. Sozialpsychiatrischer Dienst, Selbsthilfegruppen …)
  • eine entlassende Institution (z.B. Klinik, Wohneinrichtung …)
  • den zuständigen Leistungsträger der Eingliederungshilfe

Nach der Kontaktaufnahme findet ein erstes Kennenlernen zwischen Ihnen, gegebenenfalls einer vertrauten Person und unserem Fachdienst statt. Dieses Treffen kann bei Ihnen zu Hause, bei dem Leistungsträger, in der Klinik, einer Wohneinrichtung o.ä. oder in unseren Räumen stattfinden. Dieses Treffen dient der Information über unseren Dienst und unsere Angebote sowie der ersten Einschätzung, ob eine gemeinsame Zusammenarbeit für alle vorstellbar ist. Es werden gegebenenfalls die konkreten Schritte besprochen, die zur Beantragung der Hilfe bei dem zuständigen Leistungsträger notwendig sind.

Finanzierung unseres Angebotes

Die Finanzierung unseres Angebotes Begleitetes Wohnen in Gastfamilien oder in der Angehörigenfamilie erfolgt entsprechend der Vermögens- und Einkommensgrenze entweder nach dem Sozialgesetzbuch SGB IX über den zuständigen Leistungsträger der Eingliederungshilfe bzw. ganz oder teilweise durch den Kunden selbst.

Die laufenden Kosten für zum Lebensunterhalt und Unterkunft werden über Grundsicherung, Arbeitslosenunterstützung oder eigenes Einkommen abgedeckt.

Häufig gestellte Fragen

  • Für wen kommt das Angebot in Frage?
    Für erwachsene Menschen ab 18 Jahren, bei denen eine psychische und/oder geistige Behinderung festgestellt ist.
  • Braucht die Familie fachliche Kenntnisse?
    Nein. Die Familienmitglieder müssen keine besonderen beruflichen Qualifikationen oder Fachkenntnisse zu psychischen und/oder geistigen Beeinträchtigungen mitbringen.
    Das Prinzip des Begleiteten Wohnens in Familie zeichnet sich vielmehr gerade dadurch aus, dass Menschen mit Beeinträchtigung ein möglichst normales Leben in einer ganz normalen Familie führen können.
  • Wird die Familie speziell geschult?
    Die Familien werden vor Aufnahme eines Menschen mit Beeinträchtigung über dessen persönliche Situation, seine besonderen Fähigkeiten und Schwierigkeiten informiert. Eine allgemeine Schulung über Diagnosen und Krankheitsbilder erfolgt nicht, da dies für das Gelingen des Begleiteten Wohnens in Gastfamilien nicht erforderlich ist.
  • Wie sieht das Leben in einer Gastfamilie aus?
    Die Familie stellt dem Gast ein (möbliertes) Zimmer zur Verfügung. Ebenso stehen die Gemeinschaftsräume zur Mitnutzung zur Verfügung. Eigene Einrichtungsgegenstände können mitgebracht werden. Der Tagesablauf wird in gegenseitigem Einvernehmen unter Berücksichtigung aller Interessen gestaltet.
  • Was ist, wenn der Gast und die Familie einmal nicht mehr weiter wissen?
    Als Fachdienst stehen wir dem Gast und der Familie während der Vermittlungsphase sowie der gesamten Dauer des Zusammenlebens zur Seite. Regelmäßige Hausbesuche und telefonische Kontakte bilden die Grundlage für ein gutes Gelingen. Dennoch kann es auch einmal zu Krisensituationen kommen. Dann sind wir die ersten Ansprechpartner und finden gemeinsam mit allen und für alle Beteiligten tragfähige Lösungen

Ansprechpartner

Dominik FriedrichKoordinator für den Fachbereich
Begleitetes Wohnen in Familien
Dipl. Sozialpädagoge
Telefon 0621 43637572